Im Apparatteil einer wissenschaftlichen Edition findet sich in der Regel eine Wiedergabe von Varianten zwischen zwei oder mehreren Fassungen eines Werkes. Eine selbstverständliche Voraussetzung jeder solchen Wiedergabe von Varianz ist die Vergleichbarkeit der betroffenen Texte; diese müssen also zuerst zu einem großen Teil Textidentität miteinander aufweisen. Ist diese grundlegende Identität einmal vorhanden, gelten die meisten Unterschiede in der Textdarbietung (etwa zwischen handschriftlichen und gedruckten Texten) bei der Identifizierung und Verzeichnung von Varianten als editorisch handhabbar.

Die literatur- und die musikwissenschaftliche Editionspraxis bei Opernlibretti setzt offensichtlich voraus, dass auch der Vergleich zwischen einem Literaturtext (z. B. einem gedruckten Textbuch) und einem Partiturtext (einem Bestandteil z. B. einer Opernpartitur) möglich und relativ unproblematisch ist. Variantenapparate werden hergestellt, und zwar mit Hinblick auf das gemeinsame Element: den verbalsprachlichen Text.

Bei Partiturtexten steht das Verbalsprachliche jedoch in einem komplexen Zusammenspiel mit einem anderen Zeichensystem, der musikalischen Notation. Dieses Zusammenspiel prägt den dort enthaltenen verbalsprachlichen Text in mehreren Hinsichten. Die grundsätzliche Vergleichbarkeit von Literaturtext und Partiturtext und die konkrete Identifizierung und Verzeichnung von Varianten in solchen Fällen werden davon betroffen.

In meinem Vortrag wird zuerst der (neugermanistische) editionstheoretische Hintergrund, mit Schwerpunkt auf der Theorie der Varianz bzw. der Variante dargestellt. Es wird dann systematisch, von Kategorien ausgehend, und anhand weiterer Beispiele auf die spezifischen diesbezüglichen Probleme beim Vergleich von Literaturtext und Partiturtext eingegangen. Die Besonderheiten der Opernpartitur als semiotisches System werden im Vortrag auch unter Heranziehung einiger weiterer theoretischer Ansätze beleuchtet.


Esbjörn Nyström, geb. 1973, ist seit 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Germanistik an der SU, nachdem er 2008 bis 2011 Lektor der schwedischen Philologie in Tartu, Estland, war. Er promovierte 2004 in der Germanistik an der Universität in Göteborg. Sein aktuelles Forschungsprojekt ist „Das Opernlibretto: Editionstheorie, Gattung, Intermedialität“.


Alle Interessierten sind herzlich willkommen im Raum E 900 von 10:30 - 12:00!